Joel Williams

Mikrobielle Aktivität für mehr organische Bodensubstanz

Hybrid-Landwirtschaft

 

In den vergangenen Jahren hat das Interesse am Potential der Böden, Kohlenstoff [C] aus der Atmosphäre zu binden, enorm zugenommen und viele Studien beschäftigen sich mit der Dynamik und der Art der organischen Bodensubstanz. Zusätzlich zu den offensichtlichen, positiven Aspekten der Kohlenstoffbindung für das Klima entstehen durch den Aufbau von organischer Bodensubstanz viele Vorteile für das Ökosystem und den Ackerbau, da die Produktion und die Rentabilität verbessert werden können – ganz eindeutig eine Win-win-Situation. Es gibt viele neue Ideen und Modelle, die vielleicht auch einige der bisherigen Denkansätze über organische Bodensubstanz infrage stellen. Ein Beispiel ist die Zersetzung und Stabilisierung von komplexen im Vergleich zu einfachen Pflanzenrückständen bei ihrem Einbau in den Boden - d. h. feste  Pflanzenbestandteile wie Lignin und Zellulose verglichen mit den Stoffwechselprodukten der Pflanzen wie Wurzelexudate, Zucker und Aminosäuren. Wir sprechen also über komplexe, schwer abbaubare Stoffe im Vergleich zu labilen, leicht abbaubaren Anteilen.

Langsame Zersetzung: das bisherige Modell

Beim bisherigen Denkansatz zum Aufbau von organischer Bodensubstanz ging es vorrangig um die eher strukturellen Pflanzenbestandteile – man war der Ansicht, dass diese komplexen Kohlenstoffverbindungen sich nur langsam zersetzen und nur langsam abgebaut werden1–3. Je langsamer der Abbau erfolgt, umso länger bleibt der Kohlenstoff im Boden und bringt daher dauerhafte Vorteile für die Bodenfunktionalität. Folglich wurde bei der praktischen Umsetzung dieses Denkens mehr Wert auf Praktiken wie die Erhaltung von Stoppeln und die Konservierung von Getreide- und Grasresten im Vergleich zu Leguminosenrückständen gelegt Dies hängt natürlich mit dem C:N Verhältnis dieser Rückstände zusammen, wobei monokotyle Rückstände ein hohes, Leguminosenrückstände dagegen ein niedriges C:N Verhältnis aufweisen. Dieser Unterschied im C:N Verhältnis bedeutet, dass Leguminosenrückstände sich viel schneller zersetzen. Daher war man der Meinung, dass auch die Vorteile dieser Rückstände kurzlebig seien. Genauso wurden auch Wurzelexudate vernachlässigt, da sie zu schwach waren und der allgemeinen Ansicht nach schnell als Kohlendioxid [CO2]1 freigesetzt werden. Wie wir jedoch sehen werden, ist organische Bodensubstanz aus hochwertigen Substraten [Leguminosenrückständen und Wurzelexudaten] von ganz anderer Qualität und letztendlich auch dauerhafter als organische Bodensubstanz, die aus komplexen, schwer abbaubaren Rückständen stammt. Ich will damit natürlich nicht sagen, dass die Verfahren mit Stoppelerhaltung und hohen Rückständen aufgegeben werden müssen – es ist eine wichtige Strategie besonders in Regionen mit trockenem Klima, wo Feuchtigkeit der größte begrenzende Faktor ist.

Das Problem bei ligninhaltigen Pflanzenresten mit hohem C:N Anteil ist jedoch, dass Mikroorganismen aufgrund ihrer Komplexität den Kohlenstoff in diesen Rückständen nicht so einfach assimilieren können. Daher ist viel mikrobielle Energie nötig, um zunächst diese Rückstände abzubauen. Vor der mikrobiellen Assimilation ist also ein Vorzersetzungsprozess notwendig. Mikroorganismen können diese schwer zerlegbaren Kohlenstoffzusammensetzungen nur durch die Produktion und die Ausscheidung verschiedener Enzyme abbauen, die dann diese komplexen Rückstände chemisch angreifen und zersetzen. Über diese enzymatische Zersetzung können Mikroorganismen anschließend die kleineren, schwächeren Zersetzungsprodukte absorbieren. Das bedeutet letztendlich, dass Mikroorganismen Stoffwechselenergie aufwenden oder verschwenden müssen, um diese aufwendigen, extrazellulären Enzyme zu produzieren. Und diese verschwendete Energie führt zu geringeren Wachstumsraten oder einer niedrigeren Produktion von mikrobieller Biomasse. In anderen Worten: Die Menge an mikrobieller Biomasse, die pro Kohlenstoffeinheit aus diesen komplexen Rückständen gewonnen wird, ist geringer und daher haben diese einen niedrigeren Kohlenstoffnutzungsgrad4.

Effiziente Assimilation: das neue Modell

Die Frage ist nun: Was wäre, wenn wir den Mikroorganismen einfach von vornherein schwächere Materialien mit einem niedrigeren C:N Anteil zuführen? Dann würden die Mikroorganismen keine Stoffwechselenergie für die Produktion von externen Enzymen aufwenden und sie könnten viel effizienter mehr mikrobielle Biomasse aufbauen. Diese Idee der mikrobiellen Aktivität für mehr organische Bodensubstanz verbreitet sich immer mehr: Wenn sich Mikroorganismen von Kohlenstoffverbindungen  mit einem höheren Kohlenstoffnutzungsgrad ernähren – z.B. von schwachen Wurzelexudaten und Rückständen mit niedrigem C:N Anteil, können sie viel effektiver mikrobielle Biomasse herstellen4,5. Es ist wichtig, den effizientesten Weg zu finden, diese Biomasse aufzubauen, da aktuelle Studien zeigen, dass tote mikrobielle Biomasse [Nekromasse] mehr als 50 % des organischen Kohlenstoffs im Boden ausmacht6–8. Dieser mikrobielle Beitrag ist höher, als wir bisher gedacht hatten. Man ging davon aus, dass der meiste Kohlenstoff im Boden aus Pflanzenmaterial in den verschiedenen Zersetzungsstadien besteht. Diese Kohlenstoffinputs – eine ununterbrochene Kette von sich zersetzenden Pflanzenrückständen, die aufgrund ihrer strukturellen Komplexität noch nicht von lebender mikrobieller Biomasse aufgenommen wurden, werden partikuläre organische Substanz9 genannt. Der springende Punkt ist, dass sie noch nicht in oder durch einen Mikroorganismus integriert wurden. Organische Bodensubstanz ist also tatsächlich eine Mischung aus Kohlenstoffinputs, die aus der Pflanze UND aus Mikroorganismen10 stammen. Es ist also überaus wichtig, den Mikroorganismen im Boden Nahrung zur Verfügung zu stellen - aber eben so effizient wie nur irgendwie möglich11. Mit Blick auf die Zukunft gilt also: Feldmanagement für die nächste Generation bedeutet, die Bildung von mikrobieller Biomasse and die Erhaltung von Nekromasse zu fördern, um gesunde Böden, gesunde Ökosysteme und ein gesundes Klima zu erhalten7”.

Mehr als Kohlenstoffbindung: Stabilisierung

So sehr der Fokus auch auf Kohlenstoffbindung im Boden liegt und so intensiv dieses Thema auch diskutiert wird, möchte ich einen kritischen Aspekt deutlich herausstellen. Es gibt keine Bindung ohne Stabilisierung. Es ist schön und gut, Kohlenstoff im Boden zu binden (egal ob von der Pflanze oder von Mikroorganismen), aber dann muss der Kohlenstoff dort auch bleiben! Wenn nicht, sind wir nur Teil des weltweiten Kohlenstoffkreislaufs – einatmen, ausatmen. Aber wie kann man gebundenen Kohlenstoff stabilisieren? Es gibt wichtige chemische und physikalische Prozesse, die gleichermaßen Kohlenstoff in verschiedenen organischen Bodensubstanzpools12 stabilisieren. Chemische Stabilisierung entsteht, wenn Kohlenstoffgemische sich eng an mineralische Oberflächen binden und dadurch mit Mineralien verbundene organische Bodensubstanz9 entsteht. Es zeigt sich immer deutlicher, dass mikrobielle Nekromasse und hochwertige Pflanzenrückstände [niedriger C:N Anteil] zusammen besser in der Lage sind, diesen dauerhaften Anteil an organischer Bodensubstanz9,13 zu bilden. Der Kreislauf von mit Mineralien verbundener organischer Bodensubstanz verläuft sehr langsam, daher bleibt diese Bodensubstanz lange im Boden. Die Lebensdauer wird auf 10 bis 1000 Jahre14 geschätzt.

Andererseits sind uns die physikalischen Prozesse, die Kohlenstoffinputs stabilisieren können, vertrauter – sie laufen über die physikalische Ansammlung in Mikro- und Makroaggregaten im Boden ab. Obwohl die chemischen und physikalischen Bodenbedingungen anfänglich einen Einfluss haben, wird die Aggregatssynthese hauptsächlich durch biologische Prozesse angetrieben – ein komplexes Zusammenspiel von Wurzeln, Wurzelexudaten, Mikroorganismen, mikrobiellen Stoffwechselprodukten und Makrofauna15. Diese Prozesse wirken zusammen, um Bodenpartikel zu Aggregaten von verschiedenen Formen und Größen zusammenzufügen  und um standardmäßig auch Porenvolumen und miteinander verbundene Poren zu generieren, die den Gas- und Wasseraustausch16 optimieren. Bei all diesen biologischen Wechselbeziehungen scheinen Mykorrhizapilze eine besonders wichtige Rolle zu spielen durch die ausgedehnte Hyphenverzweigung und der Synthese des Glomalin – ein besonders klebriger und dauerhafter mikrobieller Klebstoff17. In den Bodenaggregaten kann jegliche organische Bodensubstanz physikalisch stabilisiert werden18 – dieser Mechanismus ist jedoch besonders wichtig für die Stabilisierung der partikulären organischen Substanz, die nicht diese starke chemische Verbindung mit mineralischen Oberflächen hat. Partikuläre organische Substanz stabilisiert sich also eher durch diese physikalische Ansammlung in Aggregaten, in denen Sauerstoff eingeschlossen und dadurch Kohlenstoff geschützt wird. Die Aggregate existieren allerdings nicht für immer. Sie haben eine begrenzte Lebensdauer und verändern sich ständig – sie werden immer wieder neu geformt und aufgeteilt und diese kontinuierliche Veränderung macht partikuläre organische Substanz weniger dauerhaft als mineralisch stabilisierten Kohlenstoff. Der Kreislauf der partikulären organischen Substanz läuft daher schneller ab und die Lebensdauer liegt deswegen bei etwa 1 bis 50 Jahren14.

Qualitäts- und Begleitsubstanzen

Wie oben beschrieben, beeinflusst die Qualität der Rückstände oder des Kohlenstoffs, der in den Boden eindringt, die Qualität und die Lebensdauer der organischen Bodensubstanz. Rückstände von geringer Qualität oder mit hohem C:N Anteil passieren die Mikroorganismen nicht so leicht und bilden daher überwiegend partikuläre organische Substanz. Partikuläre organische Substanz wird hauptsächlich in Aggregaten stabilisiert, ist aber somit anfällig für Verluste durch Oxidation während der Aggregatsveränderung12. Wurzelexudate und Rückstände mit hoher Qualität oder mit niedrigem C:N Anteil dagegen werden schnell von den Mikroorganismen im Boden zersetzt. Wenn diese Kohlenstoffzusammensetzungen einmal aufgenommen sind und zu Mikroorganismen werden [und damit Teil des mikrobiellen Prozesses], bilden sie dauerhaftere Anteile an Kohlenstoff im Boden, wenn mikrobielle Nekromasse an den mineralischen Oberflächen anhaftet19. Hier besteht also ein Zusammenhang mit dem unterschiedlichen Bindungspotential von Lehm- im Vergleich zu Sandböden. Da mittlere and fein strukturierte Böden mehr mineralische Oberfläche haben, können sie eher mit Mineralien verbundene organische Bodensubstanz bilden. Sandige und leichtere Böden mit weniger mineralischer Oberfläche kann nicht so viel dieser mit Mineralien verbundenen organischen Bodensubstanz produzieren und häufen daher wahrscheinlich mehr partikuläre organische Substanz an14. Das soll das Potential von partikulärer organischer Substanz nicht schmälern – sie kann durchaus einen weniger dauerhaften Anteil mit geringerer Qualität an organischer Bodensubstanz bilden. Aber in leichteren Böden ist es ein größerer Anteil und dies macht deutlich, wie wichtig es ist, Störungen des Bodens zu minimieren und die Aggregatsstabilität in solch sandigen Böden aufrechtzuerhalten. Vielleicht könnte man folgende Schlussfolgerung ziehen: Eine Stoppeldecke ist optimal auf leichteren Böden und in Regionen mit trockenem Klima, während eine lebende Bedeckung in Gegenden mit gemäßigtem Klima und Böden mit mittlerer Struktur von Vorteil ist.

Fazit

Stoppelrückstände stehenzulassen, ist eine geeignete Methode zur Förderung der Bodengesundheit, die nach wie vor ihre Berechtigung hat. Und die Vorteile für den Bodenschutz und die Feuchtigkeitserhaltung dürfen nicht unterbewertet werden. Jedoch zeigt sich immer mehr, dass Leguminosenrückstände und lebende Wurzeln mit ihren Exudaten mehr effiziente mikrobielle Biomasse und Nekromasse erzeugen. Daher sollte es für alle Landwirte, wenn möglich, oberste Priorität haben, das Bodengesundheitsprinzip der „dauerhaft lebenden Wurzeln“ umzusetzen. Dieses Prinzip der Bodengesundheit wird vor allem dazu beitragen, die mikrobielle Aktivität für mehr organische Bodensubstanz zu optimieren. Bindung ist allerdings nicht möglich ohne Stabilisierung. Und daher ist die chemische und physikalische Stabilisierung von Nekromasse und der von Pflanzen stammenden Substrate essentiell. Wenn der Boden dann noch so wenig wie möglich gestört wird, kann man daher die positiven Effekte der lebenden Wurzeln, Exudate und der anschließenden mikrobiellen Wechselwirkungen sowie der Stabilisierung des Kohlenstoffs zusätzlich verstärken.

Quellennachweis

  1. Leveraging a New Understanding of how Belowground Food Webs Stabilize Soil Organic Matter to Promote Ecological Intensification of Agriculture. In: Soil Carbon Storage. (2018). doi:10.1016/b978-0-12-812766-7.00004-4
  2. Soil organic matter turnover is governed by accessibility not recalcitrance. (2012). doi:10.1111/j.1365-2486.2012.02665.x
  3. How relevant is recalcitrance for the stabilization of organic matter in soils? (2008). doi:10.1002/jpln.200700049
  4. Managing Agroecosystems for Soil Microbial Carbon Use Efficiency: Ecological Unknowns, Potential Outcomes, and a Path Forward. (2019). doi:10.3389/FMICB.2019.01146
  5. Evidence for the primacy of living root inputs, not root or shoot litter, in forming soil organic carbon. (2019). doi:10.1111/nph.15361
  6. SOM genesis: Microbial biomass as a significant source. (2012). doi:10.1007/s10533-011-9658-z
  7. Quantitative assessment of microbial necromass contribution to soil organic matter. (2019). doi:10.1111/gcb.14781
  8. Divergent accumulation of microbial necromass and plant lignin components in grassland soils. (2018). doi:10.1038/s41467-018-05891-1
  9. Conceptualizing soil organic matter into particulate and mineral-associated forms to address global change in the 21st century. (2019). doi:10.1111/gcb.14859
  10. Microbial and plant-derived compounds both contribute to persistent soil organic carbon in temperate soils. (2018). doi:10.1007/s10533-018-0475-5
  11. The importance of anabolism in microbial control over soil carbon storage. (2017). doi:10.1038/nmicrobiol.2017.105<
  12. Mechanisms of carbon sequestration in soil aggregates. (2004). doi:10.1080/07352680490886842
  13. Soil organic matter is stabilized by organo-mineral associations through two key processes: The role of the carbon to nitrogen ratio. (2020). doi:10.1016/j.geoderma.2019.113974
  14. Soil carbon storage informed by particulate and mineral-associated organic matter. (2019). doi:10.1038/s41561-019-0484-6
  15. Soil Aggregate Stability: A Review. (1999). doi:10.1300/J064v14n02_08
  16. Soil structure as an indicator of soil functions: A review.(2018). doi:10.1016/j.geoderma.2017.11.009
  17. Soil aggregation and carbon sequestration are tightly correlated with the abundance of arbuscular mycorrhizal fungi: Results from long-term field experiments. (2009). doi:10.1111/j.1461-0248.2009.01303.x
  18. Sub-micron level investigation reveals the inaccessibility of stabilized carbon in soil microaggregates. (2018). doi:10.1038/s41598-018-34981-9
  19. Nitrogen-rich microbial products provide new organo-mineral associations for the stabilization of soil organic matter. (2018). doi:10.1111/gcb.14009